- 歌曲
- 时长
简介
Was kann man machen, wenn alles den Bach runtergeht? Wenn man ungebremst in den Abgrund rast? Wie wird man fertig mit dem Wahnsinn und dem Chaos um einen herum? East Cameron Folkcore aus Austin, Texas, wissen, was zu tun ist, wenn die Ungerechtigkeit zum Himmel schreit. Sie schreien einfach zurück! Wenn das Vorgängeralbum "For Sale" der Schlüssel war, mit dem die Tür nach draußen geöffnet wurde, ist "Kingdom Of Fear" der Stiefel, der die Tür aus ihren Angeln kickt und dadurch alles hereinlässt: Das Licht, die Erkenntnis und die Wahrheit, die so gleißend hell ist, dass sich eigentlich keiner mehr herausreden kann, von wegen: Ich habe nichts gewusst, ich habe nichts gesehen. "Viele Musiker singen von ihrem Baby und ihrem Darling. Darüber, wie sehr ihr Herz schmerzt oder wie dringend sie dem anderen die Kleider vom Leib reißen wollen. Aber diese emotionale Ich-Bezogenheit interessiert mich nicht. Für mich ist unsere Musik ein Vehikel, das die Menschen verbindet und die wirklich wichtigen Themen anspricht." So beschreibt Jesse Moore, Sänger, Gitarrist und musikalischer Anführer von East Cameron Folkcore, den Anspruch, den die Band an ihre Songs legt. Befindlichkeiten, Persönliches, Belange des Individuums – das alles bleibt hier außen vor. Stattdessen ist "Kingdom Of Fear" eine kritische Bestandsaufnahme unserer Welt im Jahr 2014: Vom Überwachungsstaat zum Turbokapitalismus, vom Raubbau an der Natur bis zur Korruption in Wirtschaft und Politik, von ausbeutenden Chefs bis zu willkürlichen Polizisten. Die Themen, die hier zur Sprache kommen, sind ungemütlich, keine Frage. Den Vorwurf, die Band sei "zu politisch" geworden, haben East Cameron Folkcore auch schon mehr als einmal gehört. Aber es gibt für sie eben keine Alternative. "Wir gehen mit offenen Augen durch die Welt, und dieses Album ist unsere Reaktion darauf", sagt Jesse über die Wut und Frustration, die bei der Entstehung dieser Platte entscheidend war. "Es ist nicht so, dass ich keine positiven Gefühle kennen würde. Sie spielten nur keine Rolle. Darüber wollte ich nicht singen." Und so stülpen sich East Cameron Folkcore auf "Kingdom Of Fear" die Identität einer dritten Person über, um mit deren Stimme zu sprechen: Das ist mal Chelsea Manning, die US-Soldatin, die Wikileaks vertrauliche Dokumente über den Irak-Krieg zuspielte und dafür zu 35 Jahren Haft verurteilt wurde. Mal der Historiker und Bürgerrechtler Howard Zinn, der in seinem wegweisenden Buch "A People's History Of The United States" die Geschichte der USA von unten und aus Sicht der Verlierer erzählte. Und mal ist es der namenlose G.I., dessen Konvoi im afghanischen Ghazni beschossen wird und der nicht weiß, ob er verzweifeln, desertieren oder sich auf das Nach-Hause-Kommen freuen soll. Die Angst heutzutage hat viele Facetten: Sie wird geschürt durch die Medien, um Quoten und Auflagen zu erzielen. Sie wird benutzt von der Politik, um Freiheitsrechte einzuschränken. Sie ist mal virtuell, mal verdammt real, mal ein trüber Schleier, der über dem Planeten hängt, und mal ein Loch, das sich plötzlich hinter deinem Gartenzaun auftut. East Cameron Folkcore skandieren keine wohlfeilen Allgemeinplätze und rebellisch-hohle Slogans gegen das System. Sie wissen, wovon sie reden und wogegen sie sich wenden. Siehe etwa "Fracking Boomtown", einen Protestsong gegen eine höchst umstrittene Fördermethode, mit der man Erdgas aus tiefen Erdschichten gewinnt. "In Texas ist Fracking allgegenwärtig", berichtet Jesse. "Immer wieder gibt es Erschütterungen und Erdbeben, das Grundwasser wird durch Chemikalien verseucht. Und es verursacht Wasserknappheit, die sich zu extremen Dürren ausweitet. Fracking ist eines der vielen Beispiele, die zeigen, wie wir fortwährend den Ort zerstören, an dem wir leben." Doch selbst angesichts all der deprimierenden und negativen Dinge, die auf "Kingdom Of Fear" zur Sprache kommen: Aufgeben und Resignieren ist keine Option. Jesse Moore schafft es jeden Morgen ohne Probleme, aus seinem Bett aufzustehen und der Welt entgegen zu treten. Was ihm dabei hilft? "Meine Frau. Meine Familie. Das Wissen, dass es überall auf der Welt Leute wie uns gibt. Die Hoffnung darauf, dass die Zeit des Schweigens und Hinnehmens jetzt vorbei ist, dass alle ihre Stimme erheben und versuchen, etwas zu unternehmen. Und natürlich unsere Musik." Denn diese bildet auf "Kingdom Of Fear" den strahlenden Gegenpol zu den düsteren und schonungslosen Texten. East Cameron Folkcore lassen sich in ihrer Euphorie, ihrer Hingabe nicht bremsen und hauen 14 Songs raus, die einen schier umwerfen mit ihrer Kraft und ihrer musikalischen Finesse, ihrer Schönheit und ihrem – ja, auch das! - Optimismus. Punk und Folk, Blues und Gospel, Country und Rock, Klassik und R'n'B – die Liste der beackerten stilistischen Felder ist ähnlich lang wie die der Musiker bei East Cameron Folkcore. Aktuell liegt die Zahl irgendwo zwischen 9 und 12 Mitgliedern; abhängig von Lust, Zeit und anderen Verpflichtungen wächst und schrumpft das Kollektiv. Doch das alles kann diese Band nicht aufhalten. Vielleicht, weil die Idee dahinter größer als die Akteure, die Summe mehr als die Teile ist. Während East Cameron Folkcore auf dem Debüt "Sound & Fury" und der Nachfolge-EP "The Sun Also Rises" noch größtenteils die Ideen und Arrangements von Jesse Moore umgesetzt haben, erschafft die Band seit "For Sale" ihre Songs und ihren Sound weitgehend im Kollektiv. "Kingdom Of Fear" ist nun der vorläufige Höhepunkt in Sachen Eingängigkeit und Präzision. Hier trifft die Kraft des Punk auf die Bodenständigkeit des Folk, Gospelchöre auf Banjo-Twang, Faust auf Seele, Jack White auf Tom Waits, melancholische Cellomelodien auf In-die-Fresse-Powerriffs, spartanische Introspektion auf barocke Opulenz. East Cameron Folkcore sind die E Street Band aus dem Underground, moderne Advokaten von Robin Hood, Joe Strummer und Martin Luther King, die Tellerränder, Grenzen und Mauern konsequent ignorieren und statt Zweifel Gitarren sprechen lassen. Und Trompeten. Und Cellos. Und Banjos. Und Mandolinen. Diese Platte muss man in seiner Gesamtheit erfahren. Wer skippt oder kompiliert, dem entgeht das große Ganze, das hier verhandelt wird. Das Intro "What The Thunder Said" funktioniert dabei wie ein Ausblick auf das, was einen in der nächsten Stunde erwartet: Die Songs auf der Platte gehen teilweise ineinander über, greifen hier musikalische Themen wieder auf und verarbeiten dort Zeilen weiter, die bereits vorher gesungen wurden. Die vierzehn Songs sind in vier Kapitel gegliedert, was besonders in der Doppelvinyl-Version seine volle Wirkung entfaltet: Nach der "Grand Illusion" folgt der Blick "Through The Looking Glass", anschließend erhebt das Volk seine Stimme ("The People Speak"), bis schließlich das "Ship Of Fools" ablegt und Album und Geschichte zu einem Ende bringen. Nicht nur deshalb "Kingdom Of Fear" rangiert in einer Reihe mit Klassikern wie Refuseds "The Shape Of Punk To Come". Und auch Parallelen zu Bright Eyes' "Lifted or The Story Is In the Soil, Keep Your Ear To The Ground" sind nicht von der Hand zu weisen. Denn genau wie bei Conor Oberst spürt man auch bei East Cameron Folkcore in jedem Song, jedem Takt und jeder Note die Dringlichkeit, die Überzeugung und dieses riesige Künstlerherz, das pumpt und pocht und gar nicht anders kann, als uns diese Lieder zu singen. Exemplarisch für die musikalische Vielfalt der Platte steht der Dreierpack "Kingdom Of Fear", "The Joke" und "969", der nach dem Intro das Album eröffnet. Der Titelsong fängt an als heimeliger Folksong mit Wandergitarre und gospelartigen Chören, bis sich ein kerniges Rockgitarrenlead anschleicht, kurz verschwindet, nur um nach einer noch mehr zurückgenommenen Strophe in die Vollen zu hauen: Aus den wohlklingenden Wanderzirkus-Chören werden rotzige Gang-Shouts, die Drums hämmern, die Riffs rütteln, bis eine Posaune in wohlklingender Erhabenheit einschreitet und den Weg zum sphärisch-besinnlichen Songende weist. Das folgende "The Joke" lebt von seinen warmen, fast soulartigen Gesangsharmonien, die im Refrain mit hynotischem Drumming hysterisch-übergeschnappten Straßenköter-Vocals konterkariert werden und den Song mehr und mehr Richtung Punk-Attitüde bugsieren. Und der Feedback-Alarm mit Crashbecken-Gewirbel und Background-Schliefen am Ende geht nahtlos in "969" über, den positivsten und stimmungsvollsten Song der Platte. Ein sich stetig steigernder Upbeat treibt die Nummer nach vorne wie ein Cowboy seine Horde Wildpferde. Der Gesang changiert irgendwo zwischen Rapper, Prediger und Spelunkensänger. Und die langgezogenen Bläsersätze verbreiten Sehnsucht und Wehmut und sorgen für dieses ganz besondere, fast schon physisch spürbare Ziehen, dort, wo sich Instinkte, Erfahrungen und Emotionen zu einem tausend Tonnen schweren Klumpen vereinen, der auf keinem Röntgenbild zu sehen ist: in der Seele. Und so geht es weiter mit dieser phänomenalen Platte: Archaisch und durchdacht, suchend und wegweisend, geschrien und gehaucht, bis schließlich, ganz am Ende, auch die Angst den Kürzeren zieht. "Goodbye To Fear" heißt die Lösung, so schwierig wie simpel. Mach den Computer aus, schmeiß deine Pillen weg, hör auf, alles zu glauben, was in den Nachrichten kommt. Und vor allem: Schluss mit Einigeln, Verstecken, dem Rückzug ins Private. Geh raus, öffne die Augen, und unternimm etwas. Such dir Gleichgesinnte, tritt einer Initiative bei, melde eine Demo an, rufe einen Blog ins Leben. Oder, auch eine Möglichkeit: Hör dir diese Platte an. Das ist, zugegeben, nur ein winzig kleiner Schritt. Aber besser ein kleiner Schritt als gar keiner. Ingo Neumayer